Sitzenbleiben
Peter Thiel
Systemischer Berater und Therapeut / Familientherapeut (DGSF)
E-Mail: info@praxis-fuer-loesungsorientierte-arbeit.de
Internet: http://praxis-fuer-loesungsorientierte-arbeit.de
Die nachfolgenden Anfragen wurden teilweise leicht verändert, um die Anonymität der Anfragenden zu sichern.
-----Ursprüngliche Nachricht-----
Von: ...
Gesendet: Donnerstag, 11. April 2019 13:39
An: ...
Betreff:
Sehr geehrter Herr Thiel,
ich schreibe Ihm in dem Namen meiner Schwester ... .
Meine Schwester steckt in einer Krise, aus der sie alleine nicht hinauszufinden
scheint.
Ich kann es mir nicht mehr mit ansehen, da sich alles auf dem Rücken Ihres
Sohnes ... austrägt.
Ich habe mich schon als er kleiner war viel um Ihn gekümmert, da die “Krisen“
meiner Schwester schon sehr langfristig bestehen.
Seid ich selbst umgezogen bin findet diese Unterstützung leider nicht mehr so
häufig statt wie sie es müsste.
Mein Neffe ist jetzt 11 Jahre alt und wird im Oktober 12.
Er ist gerade in der 6ten Klasse und läuft jetzt Gefahr sitzen zu bleiben, da er
nie gelernt hat wie man lernt.
Ich kann mich auch nicht daran erinnern das meine Schwester jemals ein Buch mit
ihm zusammen gelesen hätte oder ähnliches.
Es ist sehr schwer zu verdeutlichen wo die Probleme liegen, aber ich werde es
nachfolgend versuchen.
Das schwierigste, zu erklären warum wir Hilfe brauchen, ist wohl, das man nicht
sagen kann das es meine Neffen an etwas fehlen würde. Es ist nicht so als würde
er Vernachlässigt werden, würde in einem Müll-Haus wohnen und nichts zu Essen
bekommen. Dies trifft alles nicht zu.
Mein Neffe ist “körperlich“ gut versorgt. Lebt mit meiner Schwester bei meinen
Eltern.
Es ist nur so das meine Eltern selbst viele Probleme haben, unter denen ich und
meine Schwester schon gelitten haben in unserer “Jugend“.
Unsere Eltern haben ein Kind verloren, unseren Großen Bruder. Dies haben sie
erst in den letzten Jahren angefangen zu verarbeiten. Also 20 Jahre nach dem
eigentliche Unglück.
Meine Mutter hat es mit übertrieb viel Arbeit versucht und ist irgendwann daran
zusammen gebrochen. Nervenzusammenbruch und Schlaganfall waren die Folgen.
Mittlerweile hat sich das auch auf Ihren Körper übertragen, mehr als 5
Operationen am Kreuz und ein weiterer Schlaganfall folgten in den Jahren danach.
In dieser Zeit mussten wir als Kinder stark für unsere Eltern sein. Unsere
Probleme, sei es in der Schule oder Privat, wurden unter Verschluss gehalten, um
nicht weitere Belastungen für unsere Eltern darzustellen.
Am Beispiel an mir, führte dies zu Essstörungen und Depressionen. Ich hab mich
im Alter von 17 Jahren von meiner Familie gelöst und es unter viel Arbeit an mir
selbst geschafft, mich von all dem zu erholen und selbständig erfolgreich zu
werden.
Leider habe ich bei dieser
Abkapselung auch meinen Neffen auf der Strecke gelassen. Der in dem selben
Umfeld weiterhin groß wurde.
Meine Schwester kommt ganz nach unserem Vater, der alles Schluckt, keine Gefühle
zeigen kann und sich darin verliert sich selbst nicht helfen zu können und an
jedem Problem scheitert weil die Kraft des Versuches etwas zu verändern schon
fehlen.
Meine Schwester hat nie gelernt wie man sich mit einem “Kind“ richtig
beschäftigt, da sie es aus Ihrer Erfahrung selbst nicht kennt.
Sie hat mittlerweile die 2te gescheiterte Ehe hinter sich. Und bei jedem Versuch
sich selbst aufzubauen, blieb ... immer auf der Strecke.
Ich habe angst das es bald zu spät ist. Er kommt in der Schule nicht mehr mit
und das Verhältnis zwischen ihm, meinem Vater und meiner Schwester wird immer
angespannter.
Wir haben schon öfter mit dem Gedanken gespielt ihn zu uns zu holen. Was aber
wieder einen Neuanfang für ... bedeuten würde, bei dem wir nicht wissen ob wir
alle dafür stark genug wären.
Meine Schwester wünscht sich schon lange Hilfe von außerhalb, schafft es
eigenständig aber nicht sich welche einzufordern. Deswegen übernehme ich das
hiermit, in der Hoffnung bei Ihnen richtig zu sein.
Das alles sind nur kleine Auszüge, die zeigen sollen wie festgefahren und
aussichtslos die “Welt“ sich gerade für meine Familie darstellen.
Ich wünsche mir, dass Ihnen Wege gezeigt werden, wie man für sich selbst
einstehen kann, wie sie sich selbst wieder aufraffen können, wie sich meine
Schwester mehr und sinnvoller mit Ihrem Sohn beschäftigen kann, wie sie es
schaffen Ihre Beziehung zu Ihrem Sohn zu retten und aufzubauen, bevor es hierfür
zu spät ist, dass sie es schaffen sich gegenseitig zu verstehen, miteinander zu
arbeiten und Ihre Lage nicht mehr als aussichtslos anzusehen.
Ich selbst habe wieder vor in die Gegend meiner Eltern zu ziehen, weil ich
diesen Zustand meines Neffen´s nicht mehr ertrage. Dabei habe ich unglaublich
Große angst, selbst wieder in diesen Strudel aus Selbstmitleid und Verzweiflung
zu verfallen, die meine Familie so fest im Griff haben.
Mein Neffe hat schon Haltungsschäden, weil er jede Minute außerhalb der Schule
mit zocken an der Konsole oder an seinem Handy verbringt. Er weiß mit sich
nichts anzufangen. Obwohl in ihm sehr viel Potential steckt, sei es aus
Sportlicher Sicht oder aus seiner Intelligenz heraus, hier bin ich mir sicher.
Ihm wurde nur nie gezeigt wie man lernt oder Dinge angeht. Genau so geht es
meiner Schwester und ebenfalls meinen Eltern!! Ich glaube ich wiederhole mich,
aber ich hoffe wirklich, bei Ihnen richtig zu sein!
Meine Familie ist wohnhaft in ... .
Ich würde mich sehr freuen zeitnah von Ihnen zu hören.
Vielen Dank im Voraus!!
...