Dyspraxie
Peter Thiel
Systemischer Berater und Therapeut / Familientherapeut (DGSF)
E-Mail: info@praxis-fuer-loesungsorientierte-arbeit.de
Internet: http://praxis-fuer-loesungsorientierte-arbeit.de
Die nachfolgenden Anfragen wurden teilweise leicht verändert, um die Anonymität der Anfragenden zu sichern.
-----Ursprüngliche Nachricht-----
Von: ...
Gesendet: Sonntag, 4. Oktober 2020 15:50
An: ...
Betreff: Suche Hilfe für einen Patienten
Sehr geehrter Herr Thiel,
mein Name ist ... und ich arbeite als Logopädin in ...
Ich wende ich an Sie, da ich einen Patienten und eine dazugehörige Mutter mit besonders großem Leidensdruck behandle und das Gefühl habe, dass der Familie alleine mit logopädischer Therapie nicht geholfen werden kann.
Der Junge leidet an einer besonders schweren Form von verbaler Entwicklungsdyspraxie, die es ihm auf motorischer Ebene nahezu unmöglich macht, Worte zu bilden. Sein aktiver Wortschatz ist mit mittlerweile 4 Jahren noch weit unterhalb der 50 Wortgrenze und die wenigen Worte, die er spricht, können fast ausschließlich von engen Angehörigen verstanden werden. Sein Sprachverständnis hingegen ist altersgerecht entwickelt und sein Störungsbewusstsein stark ausgebildet. Zu der ohnehin schon sehr schwierigen und langwierigen logopädischen Behandlung der verbalen Entwicklungsdyspraxie kommt erschwerend hinzu, dass der Patient sich während der Behandlung immer wieder Phasenweise vollständig verweigert, vor allem, wenn seine Artikulationsversuche nicht beim ersten oder zweien Versuch gelingen oder er den Therapieablauf oder die Therapieinhalte nicht selbst bestimmen darf. Er zeigt eine starke Bindung an seine Mutter und der Ablöseprozess von Ihr gelingt sowohl in der Therapie als auch im Kindergarten nur mit Mühe. Seit dem Corona Lock Down ist die Bindung an die Mutter wieder deutlich stärker geworden und der Ablöseprozess schwerer als zuvor. Auch im privaten Umfeld lasse er sich nur unter großem Protest und Wutanfällen an seinen Vater oder seine Großeltern abgeben. Eine Behandlung im Beisein der Mutter ist jedoch mit noch stärkerem Verweigerungs- oder Ablenkungsverhalten verbunden, weswegen seine Mutter und ich zusammen vor ca. einem halben Jahr beschlossen haben, sie nicht mehr oder nur Teilweise in ihrer Anwesenheit durchzuführen.
Im Dezember soll eine dreiwöchige Sprachheilkur stattfinden, von der die Mutter sich sehr viel verspricht, da die Behandlungsfrequenz dort natürlich viel höher ist, als die aktuell 2x wöchentlich stattfindende Therapie. Ich habe jedoch aufgrund der Schwere seiner Störung große Zweifel, dass die Kur den deutlichen Erfolg bringen wird, den die Mutter sich erhofft. Von Beginn der Behandlung an erschienen ihr die Fortschritte ihres Sohnes zu langsam, was ich aus persönlicher Sicht nachvollziehen kann. Therapeutisch sehe ich jeden seiner kleinen Fortschritte als großen Erfolg und erläutere ihr diese Fortschritte auch detailliert, aber da sich diese einzelnen Fortschritte nicht unmittelbar in der Spontansprache ihres Sohnes zeigen, kann ich die Frustration der Mutter nachempfinden. Ich selbst habe in meiner bisherigen 15 jährigen Berufserfahrung erst einen Patienten behandelt, der eine ähnlich ausgeprägte VED aufweist und auch dieser litt und leidet psychisch extrem unter seiner Störung, verweigert jedoch eine psychotherapeutische Behandlung, da er von den wenigsten Menschen sprachlich verstanden wird und ihm dies überdeutlich bewusst ist. In der letzten Therapiesitzung sprach die Mutter den langsamen Therapiefortschritt und ihre diesbezügliche Unzufriedenheit erneut aus, wobei sie dies nie als einen Zweifel an meinen therapeutischen Fähigkeiten äußerte.
Sie sagte sie wisse einfach nicht, wie Sie ihrem Sohn noch helfen könne und fragte mich, ob ich noch eine Idee hätte, wie man ihm helfen könne, nicht mehr so häufig in eine vollständige Verweigerung zu verfallen, womit er den Therapiefortschritt verlangsame. Auch im häuslichen Umfeld zeige er Wutausbrüche und stundenlanges Weinen und Schreien, wenn er seinen Willen nicht bekomme. Ich selber erlebe ihn als sehr dominant gegenüber seiner Mutter. Sie darf z.B. während der logopäsichen Behandlung nicht das Wartezimmer verlassen, weil er sich sonst der Therapie vollständig verweigert, und die Mutter gibt seiner Forderung aus Sorge, den Therapieerfolg zu gefährden, nach. An manchen Tagen lässt er es nur zu, dass sie den Therapieraum verlässt, wenn sie ihm seinen Autoschlüssel aushändigt, damit er sich sicher sein kann, dass sie nicht während der Behandlung mit dem Auto wegfährt.
Da eine meiner Dozentinnen in der Ausbildung zusätzlich systemische
Familientherapeutin war, kam mir die Idee, nach einer systemischen
Familientherapie im Umfeld zu suchen und zu fragen, ob dies evtl. eine sinnvolle
Ergänzung für die logopädische Behandlung darstellen könne oder ob Sie mir
andernfalls eine andere mögliche Therapie empfehlen könnten.
Ich bedanke mich für das Lesen meiner sehr ausführlichen ersten Falldarstellung
und würde mich sehr über eine Rückmeldung Ihrerseits freuen,
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