Aus Fehlern lernen
Peter Thiel
Systemischer Berater und Therapeut / Familientherapeut (DGSF)
E-Mail: info@praxis-fuer-loesungsorientierte-arbeit.de
Internet: http://praxis-fuer-loesungsorientierte-arbeit.de
Die nachfolgenden Anfragen wurden teilweise leicht verändert, um die Anonymität der Anfragenden zu sichern.
-----Ursprüngliche Nachricht-----
Von: ...
Gesendet: Donnerstag, 20. Dezember 2018 09:50
An: ...
Betreff: Paartherapie
Sehr geehrte Damen und Herren,
ich befinde mich nach 10 Jahren Beziehung in einer neuen Beziehung. Wir sind
seit 8 Monaten ein Paar und ich möchte die Fehler die ich in der vorigen
Beziehung gemacht habe nicht noch einmal machen. Leider haben wir in letzter
Zeit einige Auseinandersetzungen. Um zu lernen damit umzugehen und um Dinge zu
ändern wünsche ich mir eine Paartherapie.
Es wäre schön wenn Sie sich
bei mir melden würden.
Mit freundlichen Grüßen
...
-----Ursprüngliche Nachricht-----
Von: ...
Gesendet: Mittwoch, 26. Dezember 2018 12:30
An: ...
Betreff: AW: Paartherapie
Sehr geehrte Frau ...
Danke für Ihre Anfrage.
Auseinandersetzungen gehören zum Leben dazu, sei es, dass ich mich mit den Umständen auseinandersetzen muss, da das Monatsende naht und ich kein Geld mehr habe, sei es, dass es kalt ist und die Heizung ausgefallen ist oder sei es in einer Paarbeziehung, dass ich meine die Verhältnisse müssten doch ganz anders sein, als sie gerade sind, damit ich mich wohlfühlen kann. Da der Mensch auf der physiologischen und psychologischen Ebene immer um Homöostase (also die Herstellung eines für den physischen und psychischen Körpers guten Gleichgewichts) bemüht sein muss, sind die Zeiten der Harmonie begrenzt. Auf der physiologischen Ebene leuchtet das unmittelbar ein, wer einige Zeit nichts gegessen, getrunken, ausgeschieden oder geatmet hat kommt in große Nöte. Während man nicht essen über einige Wochen aus den Körperreserven überbrücken kann, der Körper zieht die notwendige Energie in der Zeit aus den aufgebaute Körperreserven, gelingt dies beim Trinken nur über wenige Tage, dann ist man dehydriert und verdurstet recht schnell. Beim Atmen ist die vom Körper leistbare Überbrückungszeit gar nur auf wenige Minuten beschränkt, das betrifft sowohl das Einatmen als auch das Ausatmen, beides bedingt einander. Ähnlich beim Essen und Trinken, ohne die dazugehörigen Ausscheidungen stirbt der Mensch.
Sie meinen, Sie hätten in der vorherigen Beziehung Fehler gemacht. Vielleicht täuschen Sie sich da.
Paul Watzlawick erzählt in einem Vortrag zum Thema "Vom Sinn des Unsinns" die orientalische Geschichte von dem Vater und dem kleinen Sohn, die an einem heißen Tag auf einem staubigen Weg mit einem Esel unterwegs sind.
Der Vater reitet auf dem Esel, der Sohn läuft nebenher. Da kommt ihnen eine Gruppe Pilgerer entgegen und der Vater hört wie diese sagen: Ja schaut euch das mal an, der Vater reitet auf dem Esel und der kleine Sohn muss zu Fuß gehen, ja hat der denn kein Mitleid.
Daraufhin steigt der Vater vom
Esel ab, setzt den Sohn auf den Esel und läuft nebenher. Da kommt ihnen eine
Gruppe Pilgerer entgegen und der Vater hört wie diese sagen: Ja schaut euch das
mal an, der Sohn reitet auf dem Esel und der Vater muss zu Fuß gehen, wie wird
er den Sohn verwöhnen?
Daraufhin steigt der Vater auch auf den Esel und zu zweit reiten sie weiter. Da
kommt ihnen eine Gruppe Pilgerer entgegen und der Vater hört wie diese sagen: Ja
haben die denn kein Mitleid mit dem armen Tier?
Daraufhin steigt der Vater ab, nimmt den Kleinen vom Esel und zu zweit beginnen sie den Esel zu tragen. Da kommt ihnen eine andere Gruppe Pilgerer entgegen und der Vater hört wie diese sagen: ...
So ähnlich scheint es mir bei wohlwollender Betrachtung mit den Fehlern in einer Paarbeziehung. Wir versuchen uns auf den anderen einzustellen. Kommt er mir zu nahe, grenze ich mich ab, grenzt er sich ab, versuche ich die Grenze zu überschreiten. Also ein ständiges auf und ab. Unterbrochen von mehr oder weniger langen Zeiten, gefühlter Harmonie.
So geht es meines Erachtens weniger darum, aus "Fehlern" in vergangenen Beziehungen zu lernen, als zu verstehen, nach welchen Regeln meine aktuelle Beziehung funktioniert und was ich ändern kann, damit sie besser oder gut funktioniert. Das schließt das grundsätzliche Einverständnis ein, dass die neue Beziehung Höhen und Tiefen haben und auch "scheitern" darf. Scheitern ist hier nicht negativ gemeint, sondern eher so wie der Tag, der von der Nacht abgelöst wird, auf das ein neuer Tag entstehen kann. Wir scheitern jeden Tag ein paar Mal, sei es mit unserem Vorsatz die Wohnung aufzuräumen, sei es mit dem Vorsatz, heute würde ich mich gerne glücklich fühlen. Ohne Scheitern kein Neubeginn.
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Peter Thiel