Achtsamkeit

 

 

 

 

 

Peter Thiel 

Systemischer Berater und Therapeut / Familientherapeut (DGSF)

E-Mail: info@praxis-fuer-loesungsorientierte-arbeit.de

Internet: http://praxis-fuer-loesungsorientierte-arbeit.de

 

Die nachfolgenden Anfragen wurden teilweise leicht verändert, um die Anonymität der Anfragenden zu sichern.

 

 

 



-----Ursprüngliche Nachricht-----
Von: ...
Gesendet: Donnerstag, 25. Januar 2018 09:11
An: ...
Betreff: Hilfesuche

Sehr geehrter Herr Thiel,

ich wende mich an Sie, weil ich wegen eines privaten Problems selber keinen Rat mehr finde und eine Lösung "auf eigene Faust" nicht mehr praktikabel zu sein scheint.

Meine Frau und ich sind seit bald vier Jahren verheiratet, und über unserer Beziehung hat sich auch schon während der Jahre davor (insgesamt sind wir seit sechs Jahren ein Paar) immer nur eine dunkle Wolke gezeigt, deren Auslöser bei mir zu suchen ist. Meine Frau nennt es meist "Unachtsamkeit", und es äußert sich meist im Kleinen, wie dem Vergessen, Verlieren oder unbeabsichtigtem Beschädigen von Dingen, einem Mangel an Aufmerksamkeit für Herumliegendes, der Nichtausführung von Vorsätzen oder Plänen, etc. Käme es nicht so gehäuft vor, würde ich mich einfach als zerstreut bezeichnen. In der Dichte der " Vorfälle" ist es - vor allem natürlich für meine Frau - einfach nur belastend. Sie geht Ende März aus der Elternzeit und muss sich auf mich verlassen können.

Nun ist am Wochenende unsere 13 Monate alte Tochter ein paar Stufen einer Treppe heruntergefallen, weil ich im falschen Moment nicht aufgepasst habe. Trotz aller Ermutigungen, dass man als Eltern eines Lauflernkindes nicht jeden Sturz verhindern kann, ist das für mich der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt.
Ich habe mir im Lauf der Jahre einiges abtrainieren können, was dieser Makel mit sich bringt. So kann ich inzwischen gleichzeitig kochen und aufräumen und bin im Hauhalt von mir aus aktiv, koche, wasche, putze, wenn ich Gelegenheit finde. Aber alles ohne System und ohne, dass es mir leicht fiele oder "wie automatisch" passierte, so wie es meiner Frau - und offenbar vielen anderen Menschen auch - gelingt.

Ich würde gerne weiter an mir arbeiten, habe aber den Eindruck, dass meine Selbstlehrfähigkeiten inzwischen erschöpft sind. Darum würde ich gerne mit Ihnen daran gehen. Fällt so etwas in Ihren Zuständigkeitsbereich?

Mit den besten Grüßen und vielem Dank im Voraus,

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-----Ursprüngliche Nachricht-----
Von: ...
Gesendet: Donnerstag, 25. Januar 2018 11:16
An: ...
Betreff: AW: Hilfesuche

Sehr geehrter Herr ...,

Danke für Ihre Anfrage.

Ich gehe davon aus, dass man achtsames Verhalten lernen kann, was nun nicht heißt, dass nichts mehr unangenehmes passieren wird, aber es wird weniger werden.

Als Systemiker fragen wir uns auch immer, was hat eine bestimmtes Verhalten, mit anderen Menschen zu tun und beziehen - so es denn geht, den anderen Menschen gedanklich oder real mit ein. Ich könnte mir vorstellen, dass den Ereignissen hier auch eine bestimmte Paarproblematik zugrunde liegt, die ich mit einer kleinen netten Geschichte illustrieren will:

"In einem Reitklub von São Paulo passiert es, dass von einer dort befindlichen Terrasse, die nur über ein niedriges Geländer verfügt, immer wieder Personen hinunterfallen und sich dabei schwer verletzen. Ein Anthropologe soll der Sache nachgegangen sein und kam zu einem Resultat, dass es in verschiedenen Kulturen verschiedene Regeln gibt, wie der Abstand zu sein hätte, wenn zwei Menschen miteinander ins Gespräch kommen.

Der "richtige" Abstand bei einem Gespräch in Nordamerika ist die Armlänge. In Südamerika (und Mitteleuropa) ist der "richtige" Abstand geringer als eine Armlänge. Ein Nordamerikaner und ein Brasilianer kommen auf der Terrasse ins Gespräch. Der Nordamerikaner stellt den "richtigen" Abstand her, eine Armlänge, der Südamerikaner stellt darauf hin den "richtigen" Abstand her, er rückt auf. Der Nordamerikaner rückt zurück und stellt damit wieder den "richtigen" Abstand her, der Südamerikaner rückt auf und stellt damit wieder den "richtigen" Abstand her. Der Nordamerikaner rückt zurück und stellt damit wieder den "richtigen" Abstand her, der Südamerikaner rückt auf und stellt damit wieder den "richtigen" Abstand her. ... , der Nordamerikaner rückt zurück, um den "richtigen" Abstand herzustellen und fällt schließlich rücklings über das zu niedrige Geländer.

Tiefenpsychologisch betrachtet würde die Diagnose gestellt, der Nordamerikaner folge seinem Todestrieb. Wir sehen jedoch, dass es das Beharren und Insistieren auf den "richtigen" Abstand in der Interaktion der beiden Gesprächspartner ist, dass schließlich dazu führt, dass der Nordamerikaner die Terrasse herunter fällt."

wiedergegeben nach Paul Watzlawick: "Vom vermeintlichen Sinn des Unsinns", Baseler Psychotherapietage 1998, http://auditorium-netzwerk.de

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Mit freundlichen Grüßen


Peter Thiel



 

 

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